Wer sagt, dass Regen die Stimmung negativ beeinflusst? Der Mittwoch am Stars in Town bewies klar das Gegenteil. Bands und Publikum harmonierten vom ersten bis zum letzten Ton. Die Niederschlag erprobten Briten übertrugen ihre positive Energie auf das gesamte Festival.
Lewis Capaldi: Der Schotte spielt schon jetzt in der Champions League
Der 22-jährige Lewis Capaldi befindet sich momentan auf dem steilen Weg nach oben. Wer seine Song im Radio hört, würde den Schotten jedoch vielleicht falsch einschätzen. Die gefühlvollen Kompositionen stehen im Kontrast zu seinem Auftreten. Capaldi ist mindestens genau so sehr ein Comedian, wie er Musiker ist. Vor allem ist er aber eins – unglaublich sympathisch. Statt sich zu ernst zu nehmen oder eitel zu zu sein, nimmt sich der Sänger lieber selbst auf die Schippe – so zum Beispiel wenn er sein kleines Bäuchlein anspricht. Mit einem Intro gemischt aus Champions-League-Melodie und dem Naughty By Nature-Song Here Comes The Money entert er mit Stil die Bühne und setzt mit dem ersten Ton des Openers Grace ein Ausrufezeichen. Diese Stimme ist einfach grandios. Zwischen seinen Stücken unterhält der Sänger die Zuschauer mit witzigen Sprüchen und seinem wunderbar schottischen Akzent.
Capaldi wird kurz zum Fanboy, als er ein James-Bay-Plektrum auf der Bühne findet. Dieser hatte vier Stunden zuvor bereits vor einigen Fans einen ausgiebigen Soundcheck abgehalten. Nach dem Klassiker-Abend übernimmt die junge Generation an Künstlern das Zepter und die Leichtigkeit ist spürbar. Leidenschaft ohne Allüren ist beim gesamten Line-Ups des Abends angesagt. Dazu erlebt das Stars in Town als Opener einen Lewis Capaldi, der völlig zurecht kurz vor dem Durchbruch steht.
James Bay: In der Ruhe liegt die Kraft
Bei der Tour zu seinem Debütalbum kannte jeder James Bay nur mit Hut. Hold Back The River war omnipräsent und irgendwie brachte man das Bild von Johnny Depp und Jack White nicht aus dem Kopf, wenn man den Engländer sah. Mit seinem zweiten Album Electric Light hat er 2018 den Hut abgelegt und sieht jetzt sogar noch mehr wie seine berühmten Doppelgänger aus. Am Stars in Town beweist er, dass auch ruhige Musik auf dem Herrenacker funktioniert. Die hohe Publikumsbeteiligung zaubert Bay ein Strahlen ins Gesicht. Der Gesang der Fans klingt so harmonisch, wie die Stimme des Sängers selbst und ist vorwiegend in weiblicher Tonlage.
Wie eingangs erwähnt, hat sich James Bay mit seiner Band am Nachmittag lange Zeit für den Soundcheck genommen und den Applaus der glücklichen, kleinen Fanschar vor der Bühne sichtlich genossen. Optisch wirkt der Künstler selbst wie seine Musik. Auf den ersten Blick bescheiden, gefühlvoll und zerbrechlich, aber jederzeit bereit, um diese Mischung in eine Welle der Energie umzuwandeln. Mit jener Rezeptur knackt Bay den bisherigen Applausrekord am Stars in Town 2019.
Bastille: Keine Schönwetter-Touristen
Nach Mando Diao im Jahr 2012 sind Bastille der zweite Headliner aus dem Indie-Segment. Dass die sympathischen Engländer den Regen gewöhnt sind, bewiesen sie bereits bei ihrem Nachmittags-Ausflug auf den Rheinfall-Felsen. Mit Pelerinen trotzten sie den widrigen Umständen und liessen ihre Stimmung vom Dauerregen nicht im geringsten trüben. Von der frischen Luft energetisiert, treten sie vor ihre Fans. Sänger Dan Smith steigt schon nach dem Opener Quarter Past Midnight auf eine grosse Drehschreibe und lässt sich im Kreis schwingen, wie ein Uhrzeiger auf dem Ziffernblatt. Überhaupt spielt das Thema Zeit im Bühnendesign, wie auch auf in Teilen der Songs eine wichtige Rolle.
Nach dem Einsatz einer Konfetti-Kanone zu Happier, sucht sich Dan Smith bei Flaws seinen Weg ins Publikum – wohl gesagt im Pullover in den strömenden Regen. Und er läuft nicht nur kurz zur ersten Reihe, er wandert während des gesamten Songs quer über den Platz. Zwar ist der Sänger auch schon früher nicht vor Regen zurückgeschreckt, doch als er 2014 am Openair St. Gallen einen ähnlichen Ausflug gewagt hat, hat er sich immerhin vorher einen Regenmantel und Stiefel angezogen.
Ein mit Hits vollgepacktes Set endet mit viel Konfetti und den vertrauten Klängen von Pompeii. Bei den dazugehörigen Chören kommt der Männeranteil im Publikum ganz plötzlich zum Vorschein. Die Melodie, die an Stadiongesänge erinnert, scheint ihnen zu liegen. Dieser Hit hallt noch auf dem Heimweg im Ohr nach.
Fotos: Julius Hatt
Video: Pascal Scheiber & Noah Zygmont
Text: Christian Meier