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6. August 2025

So war der Mittwoch mit Nelly Furtado, Joya Marleen und Ray Dalton

Eine Lehrstunde in Sachen Popmusik: Diese Sterne funkeln hell Über Schaffhausen

Was will man mehr? Die Sonne kehrt zurück und mit ihr kommen die Legenden in die Stadt. Nelly Furtado ist nicht nur Grammy-Preisträgerin, sie prägte die Popwelt des frühen Jahrtausends entscheidend mit. Joya Marleen’s Persönlichkeit ist wie ein erfrischenden Sommerwind, ihre Treffsicherheit beeindruckende Songs zu schreiben schon fast beängstigend. Ray Dalton hat sich nicht nur mit seinem Feature mit Macklemore hohe Wellen geschlagen, sondern auch als Solokünstler die Spitze der Schweizer Single-Charts gestürmt.

Ray Dalton: Es gibt kein Halten mehr

Epischer Operngesang schallt als Intro über den Platz, als würde Andrea Bocelli die Schaffhauser Altstadt beehren. Stattdessen betreten eine in Weiss gekleidete Band und vier Tänzer:innen die Bühne. Der Sound schallt knackig aus den Boxen und versetzt den Platz in einen frühabendlichen Sommer-Groove. Ray Dalton erscheint in einem Outfit, das an die Gucci-Trainingsanzüge von Elton John erinnert. Selbstbewusst eröffnet er mit dem Macklemore-Feature Can’t Hold Us. Dalton muss den Überhit nicht aufsparen. Er weiss genau, wo der herkommt, gibt es noch mehr. Ganz im Sinne des nächsten Songs The Best Is Yet To Come dreht der Musiker aus Seattle immer weiter auf. Gesegnet mit einem unglaublichen Stimmvolumen singt er in sein goldenes Mikro und die Menge tanzt. Dalton und seine Tanztruppe sind die perfekten Animateure. Die Energie der Musik wird durch die Tanzeinlagen nicht bloss untermalt, sondern wie eine Druckwelle verstärkt.

Ain't nobody gonna talk me down
Ain't nobody gotta hold me now
I got a feeling in my bones
In my bones, will never touch the ground

Bei seiner Show setzt Ray Dalton seit 2021 auf lokale Tänzer:innen. Der Basler Kevin Buck ist seit 2021 für die tänzerischen Einlagen verantwortlich. Für Good Times Hard Times nimmt Dalton am Bühnenrand Platz und performt sitzend eine Ode an die Liebe. Wenn die Welt zu schwer wird und das Herz damit an seine Grenzen kommt, kann nur sie einem den Weg zurück ans Licht zeigen. Es bleibt nicht lange Zeit für schwere Gedanken, mit Manila geht es an den imaginären Strand. Gesangspartner Alvaro Soler kommt zwar ab Band, dennoch strömen die musikalischen Sonnenstrahlen nur so über den Herrenacker. Nach einer ausgelassenen Show, mit nur kurzen ruhigen Einschüben, beendet der Amerikaner mit In My Bones sein Set. Die abschliessenden Worte klingen verheissungsvoll: I feel it in my Bones, weil be back!

Joya Marleen: Auch eine HalsentzÜndung kann diese Naturgewalt nicht stoppen

Ob die zwei Ventilatoren auf der Bühne helfen, ist fraglich, aber wie Joya Marleen’s Haare im Wind wehen, sieht filmreif aus. Die St. Gallerin offenbart, dass sie sich eine Halsentzündung eingefangen habe, aber auf keinen Fall diesen Abend verpassen wolle. 2023 eröffneten sie und ihre Band für Zucchero und haben das Festival bandintern als Highlight abgespeichert. Wir haben es vor drei Jahren bei Hecht gesehen, wir erleben es nun bei Joya Marleen. Der Hals kann entzündet sein, die Stimme vor dem Auftritt komplett weg, diese Atmosphäre will man als Künstler:in um jeden Preis erleben. Joya geht alles andere als zimperlich mit ihrer Stimme um. Sie röhrt die hohen Parts mit einer Wucht, dass man unweigerlich an den besorgten Blick ihres Arztes denken muss.

It all goes to hell, stuck on a carousel
I'll happily face the end of the world with you
All the bad guys ruling, everything's ruined
I still wanna face the end of the world with you

Die Melodien ihrer Songs sind harmonisch und eingängig, die Stimme besitzt eine Reife, die ihrem Alter Jahre voraus ist. Thematisch reicht das Spekturm von Liebe über schlechte Männer bis hin zu Frankenstein und dem Ende der Welt. Die Kompositionen funktionieren als Pophymnen mit der ganzen Band im Rücken, aber auch auf Joya Marleen und ihre Akustikgitarre reduziert. Für Driver teilt sie das Publikum in zwei Gruppen auf und lässt beide in einem Schreiduell gegeneinander antreten. Nach Prüfung und Sicherstellung der Publikumsbeteiligung fordert Joya: now dance! und öffnet mit ihren Musikern ein Portal in den Funk der 70er- und 80er-Jahre. Vor Kurzem hat die Sängerin Inspiration in der Country-Stadt Nashville gesucht und gefunden. In der Ferne hat sie nicht nur neue Musik geschrieben, sondern einen Song mitgebracht, den sie mit dieser Zeit verbindet. Pink Pony Club von Chappell Roan steht der St. Gallerin wunderbar zu Gesicht. Sie schafft es die Kraft des Originals aufzufangen und sich zu eigen zu machen. Auch wenn Joya Marleen zwischen den Liedern immer mal wieder kurz hüsteln muss, die Stimme hält. Der Nightmare kommt nur in Form des Titels ihrer Erfolgs-Debütsingle. Hoffentlich hat das Stars in Town heilende Wirkung. Gute Besserung, Joya!

Nelly Furtado: Eine Pop Queen mit der Energie eines Teenagers

Unweigerlich erschauert man kurz vor Ehrfurcht wenn Nelly Furtado auf ihrer Showtreppe im Lichtkegel erscheint. Mit ihrem Tech-House-Track Eat My Man schlägt sie das letzte Kapitel des Abends auf. Bei diesen Klängen wähnt man sich kurzzeitig am falschen Konzert. Doch damit setzt die Kanadierin nur den Ton und umgibt sich mit einer mystischen Aura. Auf die Bässe folgen das Timbaland-Feature Give it To Me und das unsterbliche Say It Right. Das ist Popkunst auf höchstem Niveau. Wuchtig, selbstbewusst und unnahbar. So zumindest scheint es nach den ersten vier Songs. Doch Nelly Furtado verwandelt sich, sobald sie anfängt zu sprechen. Sie stellt jedes Bandmitglied mit einer kleinen persönliche Geschichte vor und kichert dabei wie ein Teenager. Ihr Drummer begleitet sie schon seit 25 Jahren und hat ihr die korrekte Betonung von ich liebe dich beigebracht. Sie macht sogar Werbung für robinson kirby, das Nebenprojekt ihres jüngsten musikalischen Zugangs, Madelyn Kirby an der Gitarre. Hier steht keine unantastbare Göttin auf der Bühne, sondern eine Sängerin, die dafür brennt ihre Passion auszuleben. Dabei kann sie aus Kompositionen wählen, die eine ganze Generation geprägt haben. Diese live zu hören, löst ein Gefühl der Verbundenheit aus. Die Tatsache, dass sich Nelly Furtado für einige Jahre zurückgezogen hat, verstärkt dieses gar noch. Mit 43 wurde bei der Sängerin ADHS diagnostiziert. Dies hat ihr für vieles in ihrem Leben eine Erklärung gegeben und sie aufs neue beflügelt. Sie sei in der Lage drei Songs gleichzeitig zu schreiben. Eine Superpower, die man nutzen muss.

Flames to dust
Lovers to friends
Why do all good things come to an end?

Nicht nur Taylor Swift kann auf Eras-Tour gehen, für Nelly Furtado funktioniert das ebenfalls. Ihr Konzert vereint all ihren Facetten. Harte Elektrobeats treffen auf Schmeichler wie All Good Things oder Broken Strings. Dass letzteres auf der Stars in Town Bühne performt wird, ist keine Premiere. Ihr Gesangspartner James Morrison hat die gemeinsame Komposition bereits vor neun Jahren in Schaffhausen gesungen. Endlich werden zwei Puzzleteile zusammengefügt. Im Mittelteil sorgen Try, Turn Of The Lights und die Debütsingle I’m Like A Bird für Ekstase bei den Fans. Furtado begibt sich derweil in den Bühnengraben und sucht die Nähe zu ihren Fans.

Como uma força, como uma força
Como uma força que ninguém pode parar
Como uma força, como uma força
Como uma fome que ninguém pode matar

Nun steht die multilinguale Ära an. Bei blue ist es französisch, gefolgt von spanisch und portugiesisch. Eine richtige Latino-Party bringt Schwung in die Hüften. Força ist die Hymne der Fussball-EM 2004 in Portugal. Mit ihrem Schlachtruf würde Nelly Furtado die Portugiesen auch heute noch bis ins Final tragen. Nach dem Fangesang wird Lambada getanzt und Sexy Movimento zelebriert. Furtado spannt den Bogen und biegt mit elektronischer Musik und einem weiteren Timbaland-Feature auf die Zielgerade ein. In die Nacht entlässt sie das gefesselte Schaffhauser Publikum mit einer wilden Version ihres 2006er-Hits Maneater. Zunächst klingt das noch, wie man es aus dem Radio kennt, steigert sich aber immer weiter, um schliesslich in einem Electro-Feuerwerk zu explodieren. Die Luft vibriert nach Konzertende weiter. Nelly Furtado hat mit ihrer Rückkehr aufs musikalische Parkett eine neue Ära gestartet für die sie und ihre Fans mehr als bereit sind.