Bei diesem Rock-SommermÄrchen liegt jede Menge Liebe in der Luft
Biffy Clyro. Nothing But Thieves. H-Blockx. Dieses Line-Up muss man sich einfach auf der Zunge zergehen lassen. Zwar sind die Abende am Stars in Town immer thematisch kuratiert, aber damit ein solch perfektes Line-Up vereint auf der Bühne steht, müssen viele Faktoren stimmen. Natürlich ist auch das ein Abend, der erst mal halten muss, was er auf dem Papier verspricht. Das tut er auf herzerwärmende Art und Weise. Ein Abend für die Seele, der vom Miteinander und grossartiger Livemusik getragen wird.
H-Blockx lÄuten ihren dritten FrÜhling ein
1994 haben H-Blockx mit Time To Move den Crossover nach Deutschland gebracht. Mit ihrem Debüt veröffentlichten sie vor 31 Jahren direkt ihr stilprägendstes Album. Der Erfolg bot Chancen, hat aber auch seinen Tribut gefordert. Man suchte nach der Essenz dessen, was man sein wollte und verlor sich auf dem Weg zur eigenen musikalischen DNA Schritt für Schritt. Nach 2012 veröffentlichte die Formation um Henning Wehland keine neue Musik mehr. Diese Pause ist nun vorbei. Nachdem man sich 2019 für ein einmaliges Konzert wiedervereinte und da die Freude am gemeinsamen Musizieren wiederentdeckte, brachten die H-Blockx 2024 ihren Erstling auf Jubiläumstour. Die Resonanz war riesig und die Shows schnell ausverkauft. Mit dem Alter kommt die Gelassenheit. So konnten die Musiker die Liebe ihrer Fans geniessen, ohne sich zu viel Druck zu machen. Nachdem im November letzten Jahres die Single Fallout erschien, stellt Henning Wehland nun weitere neue Musik in Aussicht. Er möchte der Bandgeschichte mindestens zehn weitere Jahre H-Bockx anhängen. Henning ist zwar komplett ergraut und sieht nicht mehr so wild aus wie früher, aber die Energie kann er auch mit 53 Jahren noch abrufen. Sobald er die Bühne betritt verwandelt er sich vom demütigen und ruhigen Charakter in ein Biest am Mikrofon.
Wanna see your left hand wanna see your right hand
still u gotta know we are a live bad band
move to the rytm, move, move to the rhyme,
you can see it, you can feel it, you can hear it in the streetsMove, H-Blockx
Ich würde gerne jedes Jahr nach Schaffhausen zurückkommen, sagt der Sänger schon nach wenigen Minuten. Es ist wunderbar zu sehen, wie alle auf dem Platz mitgehen, selbst wenn viele von ihnen ein Shirt mit einem Aufdruck von Nothing But Thieves oder Biffy Clyro tragen. Die leidenschaftliche Aura der Musiker sorgt dafür, dass alle gemeinsam der Nachmittagshitze trotzen und auf und ab springen. Diesen Mix aus Rock, Rap und Funk hat man schon länger nicht mehr gehört, aber er hat über die Jahre nichts von seinem Groove eingebüsst. Das Cover des Johnny-Cash-Klassikers Ring of Fire darf als krönender Abschluss nicht fehlen. Sie hatten ihre Interpretation für einen Spielfilm mit Maximilian Schell geschrieben, der ein totaler Flop an den Kinokassen war. Nur 1500 Menschen haben damals eine Karte gekauft. Der Song wurde von Cashs Frau June Carter geschrieben. Die H-Blockx hatten die Ehre ihre Version 1999 dem Ehepaar vorstellen. Johnny Cash machte keinen Hehl daraus, dass er eigentlich grundsätzlich keine Coverversionen mag, weil sie nie an die Qualität des Originals reichen können. Er meinte, dass dies immerhin der kleinste Haufen Scheisse sei, den er je gehört habe. Ein riesiges Kompliment aus dem Mund der Country-Legende.
Nothing But Thieves: Conor Mason ist fit wie seine Grossmutter
Beim Zählen der Musiker auf die Bühne fällt auf, dass einer fehlt. Gitarrist und Songwriter Joe Langridge-Brown ist nicht mit von der Partie, weil er familiäre Verpflichtungen wahrnehmen musste. Steve von der Tour-Crew übernimmt seine Gitarren-Parts. Gemäss Aussage von Sänger Conor Mason sei er aber zu schüchtern um direkt mit ihnen auf der Bühne zu stehen. Dafür fühlen sich alle anderen in ihrem natürlichen Habitat pudelwohl. Trotz des immer grösser werdenden Erfolgs, spürt man die Freundschaft innerhalb der Gruppe. Mason’s Falsettstimme ist das Markenzeichen der Engländer. Kein Wunder haben sie sich von Anfang an entschieden, dass er und nicht Songwriter Joe den Gesang übernimmt. Alles andere wäre die pure Verschwendung einer solchen Ausnahmestimme gewesen Musikalisch beherrschen Nothing But Thieves sowohl die ruhigen, emotionalen Klänge wie auch die heftige Instrumentierungen. Futureproof ist ein Vertreter der härteren Sorte. Mit seinem schleppenden und düsteren Rhythmus trieft es vor Coolness. Sorry und Impossible sind im Kontrast dazu Balladen, von denen man sich wegtragen lassen möchte. Die Formation hat es geschafft, mit ihrer dynamischen Musikalität nicht nur die aussergewöhnliche Stimme in den Fokus zu stellen, sondern jeden klanglichen Aspekt der Band.
Oh, hang on, did I mention you're on the hit list?
Taking your intention, now it's irrelevant
There's poison in the water, and we deserve it
The future is a monster, and now it's turningFutureproof, Nothing But Thieves
Conor Mason hüpft von einem Bandmitglied zum anderen und nutzt die Fläche der Bühne bis auf den letzten Zentimeter aus. Zwischen den Songs ist er dementsprechend ausser Atem. Er gesteht, dass er in etwa das Fitnesslevel seiner Grossmutter habe und deswegen auf die gesangliche Unterstützung der Fans angewiesen sei. Ein Anliegen, dass ihm ohne Zögern erfüllt wird. Er hat keine Mühe die Stimmlage von Gwen Stefani zu erreichen. Das Cover des No-Doubt-Klassikers Don’t Speak klingt in der Version von Nothing But Thieves nicht weniger zauberhaft als das Origianl. Amsterdam vom zweiten Album Broken Machine hat sich über die Jahre zum Fanfavoriten entwickelt und ist auch am Stars in Town ein Highlight. Wer weiss, vielleicht gibt es irgendwann eine eigene Hymne für Schaffhausen. Spätestens dann müssen Nothing But Thieves zurückkehren.
Biffy Clyro: Die Blaupause einer modernen Rockband
Die Schotten eröffnen mit A Little Love, der ersten Vorabsingle ihres im September erscheinenden zehnten Albums Futique. Eine mutige Wahl gleich zu Beginn. Fans sind neuen Songs gegenüber oft kritisch eingestellt und möchten bei Konzerten die Klassiker. Doch dieser Track ist als Klassiker auf die Welt gekommen und schafft es mit einer Leichtigkeit, die Verbindung zum Publikum aufzubauen. Als zweiten Song gleich That Golden Rule auszupacken ist nicht weniger aussergewöhnlich. Die Instrumentierung ist so wild und aufgeladen, als wäre dies bereits das grosse Finale der Show. Doch Biffy Clyro spielen sich erst warm.
With a little love
If you want it, we can conquer it all
With a little love
If you're honest, we can defeat them allA Little Love, Biffy Clyro
Die Fans sind voller Elan bei der Sache. Obwohl die Stimmung wild ist, bleibt sie positiv und friedlich. Alle gestehen sich gegenseitige ihren Platz zu, um die Schotten zu feiern. Da ist es auch egal, wenn jemand neben einem völlig schief aber mit riesiger Begeisterung die Texte falsch singt oder vor einem jemand mit einer riesigen Schottland-Fahne steht, die einem zwischenzeitlich die Sicht verdeckt. Alle sind in ihrer eigenen Biffy-Welt und geniessen den Moment. Die positive Grundstimmung verbindet Band und Publikum. Wenn das passiert, entfaltet Musik ihre komplette Magie. Es sind diese Konzert, die in Erinnerung bleiben und die man so nicht planen kann. An diesem Sommerabend spielen sämtliche Faktoren zusammen. Umschmeichelt von einer ausgeklügelten Lichtshow werden Biffy Clyro ihrem Headlinerstatus gerecht. Keine leichte Aufgabe, wenn man auf Nothing But Thieves folgt. Unterstützt von zwei Violinistinnen entfesseln sie die Macht und die Spannweite des Alternative Rock. Textsicher singt das Publikum beherzt jede Zeile mit. Das zaubert Sänger Simon Neill und den Johnston-Zwillingen ein breites Grinsen ins Gesicht. Das Wort fucking wird im positiven Sinne zum meist verwendeten Wort des Abends.
You are creating all the bubbles at night
I'm chasing round trying to pop them all the time
We don't need to trust a single word they say
You are creating all the bubbles at playBubbles, Biffy Clyro
Biffy Clyro sind nicht erst seit gestern als Band unterwegs. Das Trio veröffentlichte sein Debütalbum bereits 2002. Selten sieht man eine Formation nach einer solchen Zeit und in dieser Grösse, die als Individuen auf der Bühne so extrem harmonieren. Mit einer Begeisterung und einem Feuer spielen sie nicht nur die Fans, sondern auch sich selbst in Ekstase. Kompositionen wie The Captain, Space oder Black Chandellier wird man bestimmt auch nie müde zu spielen. Das sind musikalische Schöpfungen, die man mit stolz geschwellter Brust in die Welt tragen kann. Biffy waren schon immer eine starke Liveband, aber ihre Songs gewinnen über die Jahre immer weiter an Glanz. Die Songauswahl sorgt dafür, dass der Spannungsbogen nie abreisst und die Show wie ein einziger Endorphinrausch vorbeizieht. Nach einem gefühlten Wimpernschlag setzen Biffy Clyro mit Bubbles und Many of Horror zu einer letzten Explosion der Freude an. Schaffhausen singt, als wären zehnmal so viele Menschen in einem Stadion zusammengekommen. Was für ein Fest. Was für ein Abend.
Fotos: Julius Hatt, Roberta Fele, Laura Rubli, Sarina Reutemann
Video: absolutturnus.ch
Text: Christian Meier