Der Schweizer Nationalfeiertag wird um einen generationsÜbergreifenden Abend verlÄngert
Hecht reissen eine Bühne nach der anderen ab. Nemo hat den ESC nach 36 Jahren wieder in die Schweiz gebracht. Lovebugs sind dafür verantwortlich, dass wir bereits zur Jahrtausendwende wussten, dass guter Britpop auch aus unserem Land kommen kann. Linda Elys gewann nicht nur den Swiss Music Award als SRF 3 Best Talent, sie schaffte auch innerhalb eines Jahres den Aufstieg von der Talent Stage auf die Hauptbühne des Stars in Town.
Linda Elys: Auf ihrem eigenen Weg an die Spitze
Bei The Voice of Germany hat Linda viel erlebt. Sie hatte die Chance mit Acts wie James Blunt oder Elif aufzutreten. Eine unvergessliche Erfahrung. Vor allem öffnete ihr die Zeit als Teilnehmerin der Castingshow die Augen dafür, was sie wirklich wollte – nämlich ihre eigene Musik schreiben. Dass sie mit der ersten Single House on Fire direkt durch die Decke gehen würde, damit hätte die Schwyzerin aber wohl in ihren kühnsten Träumen nicht gerechnet. Im April dieses Jahres wurde der Song mit einer goldenen Schallplatte ausgezeichnet. Auf Spotify knackt er bald die 5-Millionen-Grenze. Mit einer Innerschweizer Gelassenheit surft die Musikerin von einem Erfolg zum nächsten.
Maggie's insecure
Superficial world
That Swallows her
Screws her up
Maggie, Linda Elys
Ihr Fokus liegt trotz all der Erfolge darauf, neue Musik zu schaffen. Linda Elys fühlt sich auf der grossen Bühne sichtlich wohl. Mit ihrer kraftvollen Stimme und einer starken Band im Rücken entfalten sich die Kompositionen der Sängerin gewaltiger denn je. Zu hören gibt es sowohl Lieder von ihrer Debüt-EP Maggie wie auch bisher unveröffentlichte Tracks. Allen voran hat River das Zeug, der nächste grosse Hit für die talentierte Künstlerin zu werden.
Lovebugs: Evergreens aus den letzten 25 Jahren
Die Formation um Sänger Adrian Sieber hat Anfang der 00er-Jahre dafür gesorgt, dass in der Schweizer Hitparade Songs auf Englisch vertreten waren, die internationales Format hatten und hierzulande entstanden sind. Im letzten Jahr hat sich die Band frisch aufgestellt und im Frühling ein neues Studioalbum mit dem Titel Heartbreak City auf den Markt gebracht. Ihr Set eröffnen die Basler mit zwei neuen Songs. Coraline und The Refusal klingen bereits beim Intro nach Lovebugs, bevor der Gesang alles klar macht. Als wäre es erst gestern gewesen, knüpfen die Musiker an die alten Zeiten an. Der Auftritt in Schaffhausen hätte beinahe nicht in seiner angedachten Form stattgefunden. Der Schlagzeuger steckte mit dem Zug in Strasbourg fest und stiess erst zehn Minuten vor dem Konzert zur Band. Eine Punktlandung, die für den ein oder anderen Schweissausbruch gesorgt haben dürfte.
Angel heart
You're tearing me apart
You're doing somthing to me deep inside
Angel heart
You're doing it pretty smartAngel Heart, Lovebugs
Die Sonne wechselt sich mit dem Regen ab. Währenddessen bringen Lovebugs wirklich jeden Evergreen. Avalon, Everybody Knows I Love You, Coffee & Cigarettes, Angel Heart, Under My Skin… Die Liste ist endlos. Sie sind die Schweizer Antwort auf Oasis, so viele Hymnen haben sie geschrieben. Bereits 2017 waren Lovebugs zu Gast am Stars in Town. Acht Jahre später fliegen die Hände noch schneller in die Höhe als damals. Diese Kompositionen sind über das Radio in unsere DNA übergegangen und lösen automatisch eine Reaktion im Körper aus. Die Liste der Hits ist schon lang, zum Abschluss des Konzerts wird sie noch länger. The Highest Heights, A Love Like Tides und Flavour of the Day beenden das Set. So klingt es, wenn man aus dem Vollen schöpfen kann.
Nemo: Vom Mundart-Rap zum internationalen Genre-ChamÄleon
Im gleichen Jahr wie Lovebugs stand auch Nemo auf der Festivalbühne. Damals wandelte Nemo musikalisch in den Fussstapfen von Lo & Leduc. Wäre Nemo’s Karriere ein Spielfilm, würde die Handlung zu ausgedacht klingen. Es war früh spürbar, dass Mundart-Rap nicht das Ende der Geschichte ist. Nemo war stets auf der Suche nach mehr, als das, was die schweizerdeutsche Sprache bieten kann. Es folgt ein Umzug nach Berlin und erste englische Songs unter dem Pseudonym Not Nemo. Eine zeitlang wurde es etwas stiller, bevor gefühlt aus dem Nichts The Code als offizieller Song für die Schweiz am ESC 2024 vorgestellt wird. Mit diesem epischen Track und einer denkwürdigen Performance schaffte Nemo schaffe, woran verschiedenste Acts dieses Landes gescheitert waren. Nicht nur gelang die Qualifikation fürs Final, am Ende der Reise stand ein spektakulärer Sieg.
Meet me in the lobby, I've been up for twenty-four
I wanna dance, I wanna party, do it like no one before
I took the Eurostar from Paris and you know what fucking for
I wanna dance, I wanna party, do it like no one beforEurostar, Nemo
Der Umgang mit dem Scheinwerferlicht und den Medien ist nicht leicht, egal wie lange man schon im Geschäft ist. Nemo lässt mittlerweile vor allem die Musik sprechen. Dass das Leben komplex und facettenreich ist, unterstreichen die Texte im Gewand unterschiedlichster Genres. Früher waren die englischen Songs eine Flucht vor der Vergangenheit, nun sind alles einzelne Kapitel, die zu einem faszinierenden Gesamtpaket beitragen. Zum Auftakt funkelt Eurostar wie eine glitzernde Discokugel von der Bühne. Anschliessend begibt sich Nemo auf eine Reise in die Vergangenheit. Die Mundart-Tracks Himalaya und Ke Bock ziehen immer noch. Bei Nemo’s des diesjährigen Cypher von SRF werden alle Fragen der Medien und der Musikindustrie mit schonungsloser Offenheit beantwortet. Eurodance, Rap und opernhafte Stücke gehen in der Folge Hand in Hand. Die Show ist geprägt von der Tatsache, dass Nemo nicht mehr vor der Vergangenheit wegläuft, sondern die eigenen Empfindungen auf den Punkt bringt und sämtliche Aspekte des künstlerischen Wirkens als Teil von sich annimmt.
Hecht: Zum vierten Mal mitten ins Herz
Vor drei Jahren musste Stefan Buck mit Kortison vollgepumpt werden, damit er seine Stimme wiederfand. Beim vierten Besuch auf dem Herrenacker sind solche drastischen Massnahmen glücklicherweise nicht nötig. Schaffhausen ist ready für die Liebe von Hecht. Und Hecht ist ready für die Liebe von Schaffhausen. Buck ist der euphorischste Sänger unseres Landes und trägt sein Herz auf der Zunge. Schnell meint er: Es fühlt sich nach Song vier bereits an wie bei den Zugaben. Die Energie, die Hecht entfesseln, sucht ihresgleichen. Die innige Verbindung zu ihren Fans löst eine Kettenreaktion an Glücksgefühlen aus. Gegenseitig schaukeln sich Band und Publikum in immer höhere Sphären. Vor wenigen Tagen hatten die Jungs Abgabetermin für ihr nächstes Album. Die neuen Songs entwickeln sich innerhalb weniger Wochen nach Erscheinung zu Klassikern. Nach Blau in Grau macht man sich Sorgen um die Idylle zwischen Stefan und seiner Julia. Mit dem brandneuen und noch unveröffentlichten Lovers löst sich diese Besorgnis aber glücklicherweise wieder auf.
Ech ha mech scho lang verlore
und ech ha Angscht, ech verlüüre dech au
mir händ üs doch so vill gschwore
ech bruuche dis Blau im GrauBlau im Grau, Hecht
Mit mittlerweile zwei Hallenstadionkonzerten (und wahrscheinlich bald einem dritten) ist die Produktion von Hecht immer professioneller geworden. Die riesigen Videoscreens und das Bühnenbild sind imposant. Trotzdem bleiben sie nahbar und spontan. Stefan spricht einen Hecht-Fan an, den er regelmässig bei seinen Konzerten sieht, sich aber noch nie mit ihm unterhalten hat. Der Vorhang sei gefallen und sofort habe er seine Kopfform in der Menge enteckt. Wenn das der Fall sei, wisse er, dass es nicht gut kommt, sondern perfekt. Der menschliche Glücksbringer heisst Markus, hat mehr als 30 Hecht-Konzerte besucht und bekommt nicht nur eine herzliche Umarmung, sondern auch ein Shirt geschenkt. Selbst wenn gefühlt alle Hecht-Songs zu Klassikern werden, gibt es solche, die rausstechen. Mon Amour ist das neuste Beispiel. Der Refrain Solang ech no Luft i minere Lunge ha animiert dazu lauthals mitzusingen.
Solang ech no
Luft i minere Lunge ha
brönnt mi Chärn für dech liechterloh
c'est fou, c′est fou
du besch für immer Mon AmourMon Amour, Hecht
Hecht wären nicht Hecht ohne Surfbrett und B-Stage. Auch wenn Stefan Buck kurz ermahnen muss: Ihr müend hebe, nid filme, wird er auf seinem Surfbrett von den Fans auf Händen getragen. Auf einer kleinen Bühne mitten im Publikum rühren Hecht mit Brissago und Heicho, zwei ihrer emotionalsten Kompositionen, zu Tränen. Mittlerweile tragen Stefan Buck und Bassist Phil Morscher ein Trikot mit der Aufschrift Mon Amour FC. Auf der Rückseite ist ein weisses Stars in Town 25 aufgedruckt. Diese Band weiss, wie man die Herzen der lokalen Fans erobert. Es fühlt sich an, als möchten Hecht gar nicht mehr von der Bühne. Mit Kawasaki, Adam & Eva und einer Extended-Version von Charlotta verabschieden sie sich von einem wild tanzenden Publikum. Bei einer solchen Verbindung, ist die Rückkehr nur eine Frage der Zeit.
Fotos: Julius Hatt, Roberta Fele, Laura Rubli, Tabea Hablützel
Video: absolutturnus.ch
Text: Christian Meier